Die Wissenschaftler der Kompetenzinitiative kritisieren heftig, dass bei den Ausarbeitungen für die WHO wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung der Mobilfunkstrahlung bewusst für die Öffentlichkeit uminterpretiert werden und Studien gezielt ausgegrenzt werden.
Die WHO bereitet derzeit eine neue WHO-EHC-Monographie zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) vor. In dem Rahmen der von der WHO beauftragten systematischen Reviews von Beobachtungs- und Experimentalstudien wurde nun die Arbeit von Karipidis et al. veröffentlicht.[1] Sie will die Qualität und Stärke der Beweise beurteilen, die durch Beobachtungsstudien an Menschen für einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber HF-EMF und dem Risiko der am häufigsten untersuchten Krebserkrankungen erbracht wurden. Einige Tage später wurde vom Hauptautor eine Pressemitteilung dazu veröffentlicht mit der Überschrift „Mobiltelefone stehen laut umfassender Überprüfung von 28 Jahren Forschung nicht (!) mit Hirnkrebs in Verbindung“ (Hervorhebung durch den Unterzeichner).[2]
Nachfolgend kann belegt werden, dass hier das „System“ ICNIRP, der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung, sehr gezielt den wissenschaftlichen Forschungs- und Erkenntnisstand aus den Untersuchungen verdreht und ausschließt und dadurch die vielfachen wissenschaftlichen Publikationen zu EMF-bedingten Hirntumoren bewusst missachtet. Denn Karipidis ist als stellvertretender Direktor der australischen Strahlenschutz- und Nuklearsicherheitsbehörde auch stellvertretender Vorsitzender der ICNIRP. Deren fachlich „unsaubere“ Arbeitsweise zur Umgehung der Anerkennung athermischer Effekte ist aktuell an anderer Stelle umfassend publiziert.[3] Auch weitere Mitarbeiter des Autorenteams sind mit der ICNIRP eng verbunden.
Beispiel 1: Bewusste Uminterpretation:
Wenn die Überschrift/Botschaft der Pressemitteilung sagt, dass Mobiltelefone nicht mit Hirnkrebs in Verbindung stehen, dann wird damit ein absoluter Ausschluss postuliert. In der Originalveröffentlichung bezüglich der Nahfeld-HF-EMF-Exposition des Kopfes durch die Nutzung von Mobiltelefonen schreiben Karipidis et al. dagegen, es gab „Hinweise mit mittlerer Sicherheit, dass diese wahrscheinlich nicht das Risiko von Tumoren bei Erwachsenen oder von Hirntumoren bei Kindern erhöht“. Man ist sich also nicht sicher, die Risiko-Wahrscheinlichkeit eines Hirntumors wird also nicht völlig, sondern nur mit mittlerer Sicherheit ausgeschlossen, es verbleibt also ein Risiko. Setzt man eine Sicherheit von Hinweisen mit 100 % gleich, dann läge eine mittlere Sicherheit bei 50 %. Und mit 50 %-iger Sicherheit der Hinweise kann dann ein Risiko für Hirntumoren erwartet werden? Insofern besteht hier ein eklatanter Widerspruch zur Überschrift und zum Inhalt der Pressemitteilung, die offensichtlich darauf angelegt ist, die tatsächlichen Erkenntnisse umzuinterpretieren bzw. deutlich zu verharmlosen.
Beispiel 2: Gezielte Missachtung von Studien
Das Beispiel 2 ist noch gravierender und zeigt, mit welchem Trick die vielfältigen, weltweit vorliegenden Studien aus den Betrachtungen, Diskussionen und Ergebnissen ausgeschlossen werden:
Für die Untersuchung zur Ganzkörper-Fernfeld-HF-EMF-Exposition durch Rundfunk- und Fernsehsender, Basisstationen oder andere ortsfeste Sender wurden lediglich zwei Studien zu einem Rundfunksender aufgenommen. Studien zu Mobilfunk Basisstationen wurden gänzlich ausgeschlossen, da die objektiven Expositionsindikatoren beschränkt seien; die Selbsteinschätzung von Probanden zur Entfernung zu Sendern sei zu „stark von der Risikowahrnehmung beeinflusst“ und könne so nicht als zuverlässiger Expositionsindikator angesehen werden.[1]
Schaut man als nur ein Beispiel dagegen in den viel beachteten Leitfaden Senderbau aus Österreich [4], gemeinsam erarbeitet von der Wiener Arbeiterkammer, der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), der Wirtschaftskammer (Bundesinnung der Elektro-, Gebäude-, Alarm- und Kommunikationstechniker), der Wiener Umweltanwaltschaft, der Österreichischen Ärztekammer und der Wissenschaftler der MedUni Wien, Institut für Umwelthygiene und Institut für Krebsforschung, dann zeigt sich bereits vor zehn Jahren folgendes Ergebnis zu Effekte bei Basisstationsstudien:
Die Abbildung zeigt Studien, die einen Zusammenhang mit der Exposition ergaben (rot), mit fraglichem Zusammenhang (blau) und ohne signifikanten Zusammenhang (schwarz). Dargestellt sind Durchschnittswerte und Wertebereiche, innerhalb dessen die Exposition erfolgte und in Bezug auf die Leistungsflussdichten umgerechnet. Quadratisch gekennzeichnete Studien zeigen chronische Exposition, kreisförmig bedeutet kurzfristige Exposition. Mit Stern markierte Studien wurden ausgeschlossen, weil persönliche Dosimetrie keine Zuordnung zu stationären Antennen erlaubte.
Es wurden aus rund 40 Studien verschiedenartige Effekte berücksichtigt wie beispielsweise reduziertes Wohlbefinden, Kopfschmerz oder Erhöhung der Krebsinzidenz. Auch wenn im klassischen toxikologischen Kontext das „Wohlbefinden“ meist nicht als „advers“ im Hinblick auf eine Gefahrenbegrenzung (Grenzwert) angesehen wird, so zeigt diese Ausarbeitung zweierlei:
Der gemeinsame Effekt-Schwellenwert in Höhe von 1.270 µW/m2 (bzw. etwa 0,7 V/m) liegt (überschlägig betrachtet) um bis zu 85-fach unter den Grenzwerten der 26. BImSchV. Zum Ausschluss dieser meist langfristigen Effekten wäre noch ein weiterer Sicherheitsfaktor (z. B. 10) anzuwenden und man käme zu einer Leistungsflussdichte von 100 µW/m2, wie dies seit langem schon für den allgemeinen Schutz gefordert wird.[7]
Es bedarf der international üblichen wissenschaftlichen Herangehensweise einer Gesamtbetrachtung aller Effekte und aller Studienarten (in vivo, in vitro und Epidemiologie) gemäß den Bradford-Hill-Kriterien [5], wie es auch als Standpunkt vom BfS [6] formuliert wird.
Fazit
Die wissenschaftliche Sicht- und Arbeitsweise der weltweit agierenden Gruppe von Wissenschaftlern der ICNIRP (und deren Umfeld) ist gezielt darauf ausgerichtet, den langjährigen Erkenntnisfortschritt von Risiken und Gefahren durch elektromagnetische Felder auf lebende Systeme (Menschen, Tiere und Pflanzen) umzudeuten, zu vertuschen, zu verharmlosen. Verschiedene Expertenmeinungen zu dieser Studie für die WHO zeigen weitere Ungereimtheiten auf wie die Tatsache, dass nur 63 von insgesamt 5.379 Studien für die WHO-Analyse berücksichtigt wurden.[8]
Darüber hinaus besteht der Verdacht der Interessenkollision, denn der ebenfalls zu den Autoren zählende Prof. Martin Röösli war als Mitglied der ICNIRP von 2011-2018 auch Vorstandsmitglied der schweizerischen Forschungsstiftung FSM „Strom und Mobilkommunikation“, deren Mittelgeber u.a. die Mobilfunk-Unternehmen Swisscom, Salt und Sunrise sind. All dies unter dem Deckmantel angeblich wissenschaftlich begründeter Qualitätskriterien wie dem verwendeten GRADE-Ansatz (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation) zur Bewertung der Qualität von Beweisen, der Anlass zu Bedenken gibt.[9]
Das Fazit einer umfassenden und sorgfältigen Analyse von Nordhagen & Flydal [10] am Beispiel eines solchen Reviews für die WHO formuliert sogar die Aussage, dass die „Überarbeitung der Strahlenschutzpolitik der WHO auf regelrechtem Betrug beruht“. Da wäre dringend zu wünschen, dass die WHO eine Rolle einnimmt, wie sie sie seit zwei Jahrzehnten gegen die Tabak-Industrie zeigt und durch ein US-Bundesgericht nach jahrelangen Verhandlungen 2006 bestätigt bekommt: „Philip Morris USA und acht weitere Tabakkonzerne haben in der Vergangenheit getäuscht, gelogen, sich verschworen, Pseudoforschung bezahlt, um die tödlichen Auswirkungen des Kippenrauchens infrage zu stellen“.[11]
Quellen:
[1] Karipidis K, Baaken D, Loney T, Blettner M, Brzozek C, Elwood M, Narh C, Orsini N, Röösli M, Paulo MS, Lagorio S (2024): The effect of exposure to radiofrequency fields on cancer risk in the general and working population: A systematic review of human observational studies – Part I: Most researched outcomes. In. Environment International, Band 191, 2024, 108983, ISSN 0160-4120. [https://doi.org/10.1016/j.envint.2024.108983].
[3] ICBE-EMF = International Commission on the Biological Efects of Electromagnetic Fields (2023): Wissenschaftliche Erkenntnisse entkräften gesundheitliche Annahmen, die den FCC- und ICNIRP-Grenzwertbestimmungen für Hochfrequenzstrahlung zugrunde liegen: Folgen für 5G. Deutsche Übersetzung. In: diagnose:funk Brennpunkt Febr. 2023. [https://www.diagnose-funk.org/download.php?field=filename&id=511&class=DownloadItem].
[4] Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt (Hg.) (2014): Leitfaden Senderbau (LSB) – Vorsorgeprinzip bei Errichtung, Betrieb, Um- und Ausbau von ortsfesten Sendeanlagen (2. Auflage), Österreich. [http://elektrotechniker.at/files/LF_Senderbau_web.pdf
[5] Bradford Hill A. B. (1965): The environment and disease: association or causation? Journal of the Royal Society of Medicine 58(5): 295-300.
[6] BfS = Bundesamt für Strahlenschutz (2021): Verfahren zur Bewertung gesundheitsbezogener Risiken durch Strahlung am BfS. Strahlenschutz Standpunkt. [https://www.bfs.de/SharedDocs/Downloads/BfS/DE/broschueren/risikobewertung.html].
[7] Kühling, W. (2022): Funkwende – Eine Denkschrift. In: umwelt · medizin · gesellschaft 35, 4/2022, 34-37. [ISSN 1437-2606]. [https://kompetenzinitiative.com/funkwende-fuer-gesundheit-klima-umwelt-dringend-erforderlich-und-intelligent-gestaltbar/].
[8] [https://www.microwavenews.com/news-center/old-wine-new-bottles]
[9] [https://phonegatealert.org/en/phonegate-alert-criticizes-who-study-mobile-phone-risks/]
[10] Nordhagen, EK & Flydal, E (2024): WHO to build neglect of RF-EMF exposure hazards on flawed EHC reviews? Case study demonstrates how “no hazards” conclusion is drawn from data showing hazards. In: Reviews on Environmental Health. [https://doi.org/10.1515/reveh-2024-0089]
[11] DIE ZEIT Nr. 52 v. 05.12.2024, 33
Wilfried Kühling
Weitere Beiträge
Massiv überhöhte Strahlung: Frankreich nimmt 60 Mobiltelefone vom Markt
WHO-Entwarnung zu mobilfunkbedingten Schäden unter scharfer Kritik
Bundesamt verharmlost die Belastung durch Magnetfelder im Auto