Elektrohypersensibilität (EHS)
Kurz gesagt
Unspezifische Krankheitsbilder (wie Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Nervosität und Konzentrationsstörungen) nehmen in den letzten Jahrzehnten stetig und mit zum Teil hohen Steigerungsraten zu. Viele Erkrankungen deuten auf eine Multisystemerkrankung hin, deren Ursache in unserem heutigen Lebensstil und den die Gesundheit beeinflussenden Umweltbedingungen liegt.[1] Der menschliche Organismus reagiert auf die oft mehrfache Einwirkung mit einem breiten Spektrum von Symptomen, die von der Belastung bis zur Krankheit reichen.[2] Zu den Multisystemerkrankungen gehört auch die sogenannte “Elektrohypersensibilität” (EHS) – auch bekannt als “Elektrohypersensitivität”, „Elektrosensibilität“ oder „elektromagnetische Hypersensibilität“ – eine Reaktion des Körpers auf künstlich erzeugte elektromagnetische Felder, die u. a. durch Mobilfunk entstehen (wie z. B. Mobilfunk-Sendeanlagen, Smartphones, DECT-Telefone, WLAN oder Bluetooth). Studien in mehreren Ländern zeigen, dass etwa 5 % der Bevölkerung betroffen sein können.
Selten werden hier Zusammenhänge gesehen, werden aber in den Fachwissenschaften seit langer Zeit schon beklagt. Es wird beobachtet, dass Betroffene sogar dann körperlich reagieren, wenn sie nicht wissen, dass Strahlungsquellen Auslöser der Symptome sind. Trotz wachsendem Bewusstsein fehlt es bislang an flächendeckender Anerkennung, verlässlicher Forschung und wirksamen Präventivmaßnahmen – während die technologischen Entwicklungen (z. B. 5G, Smart Meter) die Strahlenbelastung weltweit erhöht. Viele Betroffene meiden belastete Orte und sind so von einer gesellschaftlichen Teilhabe oft ausgeschlossen.
Wir fordern eine Anerkennung von EHS als Erkrankung auch in Deutschland, eine Senkung der Strahlenbelastung durch verbindliche Schutzregelungen für alle, und eine systemische Erklärung, Diagnose und Behandlung dieser komplexen Erkrankung.
Was sind Multisystemerkrankungen? Wie äußert sich EHS? Woran merkt man, dass man betroffen ist? Wie lässt sich eine Diagnose stellen? Was kann man tun, um die Symptome zu lindern?
Was ist Elektrohypersensibilität (EHS)?
Beim Menschen ist kein spezielles Wahrnehmungsorgan o. ä. für die uns umgebenden, künstlich erzeugten elektromagnetischen Felder (EMF) bekannt. Sie werden unterschieden in niederfrequente Felder (NF-EMF, wie sie z. B. beim Haushalts-
und Bahnstrom vorkommen) und hochfrequente elektromagnetische Felder (HF-EMF), die z. B. durch Mobilfunksendeanlagen, Handystrahlung oder WLAN auf uns einwirken. HF-EMF haben die Eigenschaft, bei höheren Intensitäten Gewebe zu erwärmen.
Grundlage der geltenden Grenzwerte ist die Annahme, dass EMF nur dann biologisch wirksam sein können, wenn so viel Energie übertragen wird, dass das Gewebe schnell um mindestens 1°C erwärmt wird („thermische Effekte“). Die geltenden
Grenzwerte schützen vor einer zu starken Erwärmung. Allerdings haben diese Felder auch weit unterhalb der Grenzwerte verschiedene Auswirkungen auf Zellen und Lebewesen („athermische Effekte“). Studien belegen verschiedene Ansätze
für biologische Wirkmechanismen auf Molekül-, Zell- und Organebene. EMF können schon bei geringen, alltäglichen Intensitäten in biologische Prozesse eingreifen, was Organismen langsam und schlei-chend belasten kann. Manche Menschen
können dies besser kompensieren als andere. Bei Men-schen, die dies schlechter kompensieren können, kann das zu einer Überempfindlichkeit (Hyper-sensibilisierung) gegenüber diesen Feldern und Strahlen führen. Nach einer Hypersensibilisierung
reagieren Organismen schon bei sehr niedrigen Intensitäten auf die EMF. Siehe hierzu die Studien von Belpomme et al. [4], Belpomme & Irigary [39], Havas [10], McCarty et al. [16], Panagopoulos [19], Panagopoulos et al. [20],
Redmayne and Reddel [21], Sage [22], Schuermann and Mevissen [23], Thill et al. [25].
Definition von Elektrohypersensibilität (EHS) und Idiopathic Environmental Intolerance Atributed to EMF (IEI-EMF)
Schon die Bezeichnungen von EHS zeigen große Differenzen. Bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es die Bezeichnung „IEI-EMF“, die Symptome von Menschen erfasst, die ihre Beschwerden auf EMF zurückführen. Hierbei wird ausgeklammert,
ob der Zusammenhang aufgrund einer Kausalität (echter Wirkungszusammenhang), einer Fehlattribution (Symptome kommen eigentlich von etwas anderem) oder eines Nocebo-Effekts (negative Erwartung) vermutet wird. Dieser Zweifel daran,
dass der von Betroffenen oft mühsam herausgefundene Zusammenhang real ist, führt oft dazu, dass Betroffene nicht ernst genommen werden. Als „EHS“ bezeichnen wir die kausale Reaktion mit Symptomen auf EMF, egal, ob sie bewusst oder
unbewusst (also ohne den Zusammenhang zu EMF erkannt zu haben) erfolgt. Wir gehen davon aus, dass der Großteil der Menschen mit IEI-EMF wirklich unter EHS leidet, und dass darüber hinaus eine erhebliche Anzahl von Menschen zwar EHS-Symptome
hat, den Zusammenhang zu EMF allerdings noch nicht erkannt hat. Um hier Gewissheit zu erlangen, wünschen wir hochqualitative Studien zum Thema (und zu den dabei zu lösenden Problemen vgl. „Studien zu EHS“, s.u. sowie ANSES [1], Bevington
[21], Bevington [7], Redmayne & Reddel [21], Stein& Udasin [24]. Gleichwohl haben das Europäische Parlament, der EWSA (der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss) und der Europarat anerkannt, dass Elektrosensibilität
und Elektrosensitivität Krankheiten sind [31]. Diese insgesamt unsicheren und nicht rechtlich verbindlichen Einordnungen führen letztlich dazu, dass EHS-ler kaum Ärzte finden, die sie ernst nehmen und kompetent behandeln. Es bedarf
also dringend einer Klärung und vor allem einer verbindlichen Regelung.
Symptome und Vorkommen von EHS
Symptome von EHS und IEI-EMF können sein: (Ein-)Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Mattigkeit (meist nach Aufenthalt in Innenstädten oder anderen Orten mit viel Mobilfunk), Schwindel, Übelkeit, Muskel-, Gelenk- und Nervenschmerzen, Muskelverspannungen,
Tinnitus, Ohrenschmerzen, Herzklopfen, Herzerkrankungen, Herzrhythmusstörungen, bleierne Müdigkeit (Fatigue), Infektanfälligkeit und neurologische Ausfälle („Brain Fog“) mit Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen,
AD(H)S, Depressionen sowie plötzlich erschlaffender Muskulatur oder Epilepsie. Auch Effekte auf den Blutzucker wurden beobachtet vgl. Bevington [7], Havas [10], Stein & Udasin [24]. Verschiedene Studien (s ANSES [1], BfS [38])
zeigen, dass eine steigende Anzahl von Menschen (derzeit ca. 1% – 5% der Bevölkerung) unter IEI-EMF leidet. Verlässliche Zahlen zum Vorkommen von EHS gibt es nicht. Wir erwarten, dass die Anzahl der von IEI-EMF Betroffenen deutlich
geringer ist als die Anzahl der von EHS Betroffenen, und zwar aus folgenden Gründen: Es gibt gut untersuchte Einzelfälle mit nachgewiesener EHS (Existenzbeweis). Es gibt Beschreibungen der Wirkmechanismen [33] sowie Studien, die
die Wirksamkeit von darauf beruhenden Programmen [34] gegen die akute Symptomatik belegen. Es gibt viele, sogar durch Ärzte dokumentierte Beobachtungen, dass EHS-ler den Zusammenhang oft erst nach Jahren mit Symptomen und Beschwerden
erkennen. Sie können also erst Jahre nach Beginn der Symptome der Gruppe von IEI-EMF Betroffenen zugerechnet werden. Den Wirkmechanismen entsprechend sollte die Krankheitslast in der Bevölkerung mit dem Ausbau der drahtlosen Kommunikation
entsprechend ansteigen. Dies wird beobachtet [2], Zunahme von bestimmten Hirntumoren und kolorektalen Krebserkrankungen schon bei jungen Menschen, Zunahme neurodegenerativer Erkrankungen, Krankenhausstatistiken [13]. Wir behaupten
allerdings nicht, dass der Ausbau der drahtlosen Kommunikation der einzige Grund für diesen Anstieg sein muss.
Verlauf und typische Auslöser
Betroffene von EHS erleben häufig einen fortschreitenden Verlauf mit immer stärkeren Symptomen. War der Symptombeginn anfangs sehr spät nach Beginn einer Exposition, so dass meist kein Zusammenhang vermutet wurde, wird diese Latenzzeit
oft kürzer. Andersherum enden die Symptome später nicht mehr mit Expositionsende, sondern dauern Stunden oder Tage an [24]. Es kommt auch vor, dass eine milde EHS bei Meidung von Exposition wieder verschwindet [27]. EHS tritt üblicherweise
erst im Laufe des Lebens auf. Havas [10] identifiziert fünf mögliche „Vorläufer“ (precursors) von EHS, von denen bei EHS-lern mindestens einer zutreffe: 1) Physikalisches Trauma des zentralen Nervensystems (Verletzungen von Rücken
oder Kopf, Gehirnerschütterung o. ä.). 2) Exposition mit toxischen Substanzen (z.B. Schimmel, Schwermetalle). 3) Infektionen (z. B. mit Eppstein-Barr-Virus, Borreliose). 4) Akute oder lang anhaltende Exposition mit elektromagnetischen
Feldern. 5) Eingeschränktes (über- oder unteraktives) Immunsystem. In schweren Fällen von EHS droht eine Entwicklung von (chronischer) vegetativer Erschöpfung, einem dauerhaft übererregten vegetativen Nervensystem mit Unfähigkeit
zur Regeneration, außerdem neurodegenerative Erkrankungen sowie eine Stoffwechsel-Entgleisung. Arbeits- und Berufsunfähigkeit sind dann oft die Folge. Laut dem Bevington-Review [7] sind aktuell ca. 0,6% der Bevölkerung berufsunfähig
wegen EHS/IEI-EMF.
Studien zu EHS
Bisher scheint es außer wenigen Einzelfallstudien (siehe z. B. Waldmann-Selsam [40]) keine geeigneten Studien zu geben, die den kausalen Zusammenhang zwischen Exposition und Symptomen sinnvoll untersuchen. Will man diese Reaktionen
durch Provokationsstudien (wie von der WHO empfohlen) nachweisen, gelingt dies meist nicht, da Studiendesigns nötig wären, die EMF-freie Anreisewege und lange Erholungszeiten zwischen Expositions- und Kontrollversuchen gewährleisten
sowie die individuell unterschiedlich wirksamen Expositionsszenarien (Frequenz-Mix, Polarisation, Modulation, elektrische und magnetische Komponente, weitere Stressoren u.v.m.) beachten müssten. In Studien wurde gezeigt, dass ein
Nocebo-Effekt hinzukommen kann. Als Auslöser von EHS kommt ein Nocebo-Effekt aber auch nach der französischen Gesundheitsbehörde ANSES nicht in Frage. In sehr vielen Fällen begannen die Symptome viele Jahre, bevor ein Zusammenhang
mit elektromagnetischen Feldern vermutet wurde (vgl. ANSES [1 und Leszczynski [14]).
EHS als Multisystemerkrankung
Viele der EHS-Symptome können schon durch die oben genannten Aspekte und Zusammenhänge schlüssig erklärt werden. Es gibt jedoch Ausprägungen von EHS, die sich nach und nach auf immer mehr Organsysteme ausdehnen. Diese können oft durch
Therapieformen oder spezielle Meditationen gemildert werden, die eigentlich für die Traumatherapie entwickelt wurden. Warum ist das plausibel? Der Verband der Europäischen Umweltmediziner [5] bezeichnet EHS (vielleicht auch eine
Unterform dessen, was wir als EHS bezeichnen) als “EMF-bedingte Beschwerden und Krankheiten” und ordnet sie den sog. Multisystemerkrankungen (also eine Erkrankung, die mehrere Organsysteme gleichzeitig betrifft) zu, deren Ursache
in der Umwelt liegt. Sibylle Reith beschreibt die Komplexität und Vielfalt der Wirkmechanismen in ihrer Publikation [32] mit dem Titel “Multisystemerkrankungen erkennen und verstehen: Über die unterkomplexe Wahrnehmung und Versorgung
komplexer Erkrankungen. Fakten zu einer ignorierten, aber relevanten medizinischen Notlage”. Danach sind verschiedene Organe / Systeme betroffen, und es kann zu Stoffwechsel-Entgleisungen kommen. Das System wird bis an Kipp-Punkte
und darüber hinaus belastet. Bei jeder Person sind Symptome und Trigger sowie Intensität der Symptome individuell. Sie legt dar, dass „sogenannte „erworbene multisystemische Komplex-Erkrankungen“ an Komplexität kaum zu überbieten
sind, die Beschwerden in unterschiedlichem Ausmaß als „medizinisch nicht erklärbar“ gelten und jede dieser Erkrankungen um ihre Anerkennung kämpft.“ So hätten Multisystemerkrankungen gemeinsam, dass es „nicht die eine Ursache gibt,
sondern eine Summenbelastung entsteht. Stoffliche Reize (z. B. Viren, Umweltschadstoffe) und nichtstoffliche (z. B. elektromagnetische) Reize interagieren synergistisch und ziehen biochemisch ähnliche Reaktionskaskaden
nach sich. Durch quantitativ und qualitativ unüberschaubare Einflüsse werden die regulierenden Abläufe im Immun-, Hormon- und Nervensystem extrem herausgefordert. Dadurch entstehen einmalige, individuelle Kombinationen von multisystemischen
Fehlsteuerungen. Auch die Psyche wird in Mitleidenschaft gezogen.“ Der multisystemisch erkrankte Patient benötigt laut Reith die „personalisierte, interdisziplinäre Diagnostik und Behandlung.“ Damit wird deutlich, dass sich im oft
vereinfachenden wissenschaftlich-toxikologischen Begründungszusammenhang: “Hier Ursache/Noxe, da Wirkung” kaum einfache Erkenntnisse, Zuordnungen und Therapien erzielen lassen. In diesem Kontext sind die folgenden Aussagen zu verstehen.
Inzwischen zeigen Tausende von Studien auf, wie Mobilfunk prinzipiell Zellen, Gewebe und Körperfunktionen stresst oder schädigt (v. a. Öffnung spannungsgesteuerter Ionenkanäle, oxidativer/nitrosativer Zellstress, Behinderung
der Zellatmung, Schädigung der Mitochondrien und der Blut-Hirn-Schranke, sekundäre Schädigung der DNA). Betrachtet man nur Studien mit realitätsnaher Exposition, findet der Review von Panagopoulos [19] bei nahezu 100% der Studien
biologische Effekte („adverse effects“). Die vielfältigen Mechanismen können auch kombiniert auftreten und sich gegenseitig verstärken. Viele davon sind geeignet, EHS-Symptome schon direkt zu erklären, wenn die EMF lange genug einwirken
(langfristige Schädigung von Mitochondrien, Veränderung im Nervensystem, genereller Energiemangel u.v.m.). Bei Gesunden können die genannten Schädigungen oder Stressoren i. d. R. repariert oder abgepuffert werden, allerdings
weiß niemand, ob dies auch lebenslang gilt. Das Auftreten des „Havanna-Syndroms“ oder der Beschwerden von US-Diplomaten in Moskau, die jahrelang absichtlich mit EMF in Intensitäten unterhalb der westlichen Grenzwerte bestrahlt wurden
und in der Folge krank wurden, deuten auf ein mögliches Risiko für alle hin. Menschen mit genetisch bedingten Veränderungen der Aktivität von Enzymen, die oxidativen Zellstress reduzieren, haben ein zehnfach erhöhtes Risiko für EHS,
was eine Beteiligung von oxidativem Zellstress wenigstens bei einer Teilgruppe der EHS-ler wahrscheinlich macht [9]. Dass oxidativer Zellstress durch EMF erhöht wird, wurde in einem großen Review gezeigt [30] und ist unbestritten
[23]. Zu Verflechtungen des oxidativen und nitrosativen Zellstresses (ROS/RNS) mit anderen Risiken siehe: Kostoff et al. [12], Pall [12], Pall [17], Pall [18], Pall [35], Panagopoulos [19], Yakymenko et al. [30]. Multisystemerkrankungen
wie EHS werden vermutlich durch ein „biologisches Ernstnehmen“ von schädigenden Prozessen wie den oben genannten ausgelöst oder verstärkt. Bekannt ist die sogenannte Sensitivierung als Prinzip schon bei Seeschnecken: Reaktionen auf
wiederholte harmlose Reize werden normalerweise immer schwächer. Treten die harmlosen Reize zusammen mit einem schädigenden Reiz auf, wird eine dauerhafte Schreckreaktion auf den harmlosen Reiz erlernt. Es wird angenommen, dass diese
Prinzipien höheren Organismen erst recht zu eigen sind. Das „biologische Ernstnehmen“ der Symptome von EHS wird beim Menschen wahrscheinlich durch die Gehirnregionen Amygdala (Gefahrendetektor) und Insula (Reflexe des Immunsystems)
vermittelt [26] und führt zu einer Hochregulation des Sympathikus (in dem Sinne, dass der Organismus fliehen können soll) und zu einer Abnahme der Parasympathikus-Aktivität (in dem Sinne, dass Flucht und Wachsamkeit eine höhere Priorität
eingeräumt werden als Reparatur). Letzteres verhindert die Regeneration des Körpers, so dass Schäden, die bei Gesunden regelmäßig ausgebessert werden, sich bei diesen Menschen akkumulieren. Immer mehr Zellen und Organe werden beschädigt,
in einer schwer vorhersagbaren Reihenfolge: Eine Multisystemerkrankung ist entstanden. Eine Übersicht dieser Prozesse zeigt die folgende Abbildung.
Dieses Erklärungsmodell kann die oft beobachtete Abwärtsspirale von immer schwerwiegenderen Symptomen und immer geringerer Reizschwelle bei EHS sowie die relative Symptomfreiheit bei strikter Vermeidung von Exposition gut erklären.
Laut Y. Stein [36] (Leiterin einer Schmerzklinik in Israel) bleibt Schwerstbetroffenen nur das Leben in abgeschirmten Räumen, bis sich die Symptome bessern, aber auch danach kann nur weniger Exposition verkraftet werden. Ebenfalls
erklärt das Modell, warum Meditationen oder Therapieformen, die auch bei Traumata funktionieren, jedenfalls die akuten EHS-Symptome reduzieren können, obwohl keine bewusste Assoziation zwischen Mobilfunk und Symptomen an der EHS-Entwicklung
beteiligt war. Selbst wenn die überschießende Sympathikus-Aktivität wieder sinkt, können die bereits bestehenden Schäden durch EMF so schwerwiegend sein, dass die Personen weiterhin Regeneration außerhalb von EMF benötigen, um nicht
über gesundheitsrelevante Kipp-Punkte zu gelangen. Die direkte Schädigung kann über diese Therapieformen nicht plausibel bekämpft werden.
Diagnose
Eine Diagnose wird anhand einer ausführlichen umweltmedizinischen Anamnese (und Beschwerden) gestellt. Es gibt bisher keine spezifischen Diagnostiken. Allerdings gibt es den ICD-10-Code Z57 oder Z58, die für EHS verwendet werden können.
Symptome sind wie oben beschrieben sehr individuell. Treten beispielsweise Herzrhythmus-Störungen unter EMF-Belastung auf, ist ein Dauer-EKG mit Protokollierung der Strahlenbelastung angezeigt. Ist ein Patient stark erschöpft, sind
Mitochondrien-Status sowie oxidativer und nitrosativer Stress zu bestimmen. Treten Schweißausbrüche auf, untersucht man Hormonstatus und Neurotransmitter. Es sollte immer ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen EMF-Belastung
und der Symptomatik, wobei die zeitliche Korrelation individuell ist, d.h. die Symptome können mit zeitlicher Verzögerung auftreten und abnehmen. Das Geschehen ist multifaktoriell – bei gleicher Strahlenbelastung können die Symptome
eines Individuums unterschiedlich stark ausfallen. Das bedeutet, dass der gleiche Mensch auf die gleiche Strahlung unterschiedlich stark und mit unterschiedlichen Symptomen reagieren kann, je nach individueller aktueller Befindlichkeit
und äußeren Einflüssen (z.B. Schlafmangel, Stress, grippaler Infekt, Erschöpfung, Blutzuckerspiegel vor/nach Mahlzeiten u.v.m.). Ein wichtiges Kriterium ist, dass die Symptomatik in strahlungsarmer Umgebung abnimmt, wobei die individuelle
und multifaktorielle Verzögerungszeit zu beachten ist (vgl. oben). Die Labor-Parameter dienen v.a. der Abklärung, auf welcher Ebene die Schädigungen oder Beeinflussungen vorrangig stattfinden. Anhand dessen können entsprechende therapeutische
Maßnahmen eingeleitet werden. Es gibt Versuche, biologische Marker von EHS zu definieren (siehe Belpomme et al. [3], Belpomme et al. [4], De Luca et al. [9], Leszczynski [14]), die aber wegen der verschiedenen Kombinationen von Schädigungsmechanismen
wahrscheinlich jeweils nur für einen Teil der EHS-ler zutreffend sein dürften. Auffälligkeiten beim antioxidativen Potenzial sind aktuell die aussichtsreichsten Kandidaten. Es gibt aber auch dokumentierte Veränderungen der Erregungsleitung
bestimmter Gehirnregionen durch funktionale Magnetresonanztomographie, siehe Heuser and Heuser [11], Stein and Udasin [24].
Behandlung
Bewährt haben sich in Übereinstimmung mit Erfahrungen Betroffener folgende Maßnahmen oder eine Kombination daraus [10]: Reduktion der Exposition: Am hilfreichsten ist i. d. R. die De-Exposition (Entfernung aller EMF abstrahlenden
Geräte aus dem eigenen Haushalt und Nutzung kabelgebundener Geräte (LAN-Kabel, Schnurtelefon), sachgerechte Abschirmung, Umzug in eine wenig belastete Umgebung. Unterstützung des limbischen Systems bzw. des vegetativen Nervensystems.
Das Fortschreiten der Multisystemerkrankung kann möglicherweise durch Signale der Sicherheit und Geborgenheit für das limbische System verlangsamt oder aufgehalten werden. Das Gupta-Programm [34] oder das Dynamic Neural Retraining
System [33] haben bei einigen EHS-lern nach konsequenter Anwendung über mehrere Monate hinweg die akuten Symptome deutlich reduziert, allerdings nicht unbedingt eine fortschreitende langsame Schädigung verschiedener Organsysteme
aufgehalten. Zudem ist es sehr belastend, mit einer Multisystemerkrankung zu leben. Dies wird bei EHS noch verstärkt durch die Tatsachen, dass Betroffenen meist nicht geglaubt wird, sie weder von den meisten Medizinern, Psychologen,
noch vom beruflichen oder privaten Umfeld ernst genommen werden und darüber hinaus soziale Teilhabe extrem eingeschränkt bis kaum mehr möglich ist und wenig belastete (Wohn-)Räume kaum mehr zu finden sind. Durch den voranschreitenden
Netzausbau kann auch eine aktuell zu Symptomfreiheit führende Wohnsituation jederzeit unbrauchbar werden. Mit diesem Stress umgehen zu lernen, kann den Parasympathikus stärker aktivieren, was zu einer Gesundung von jeglicher Erkrankung
nötig ist. Als hilfreich empfunden werden z.B. Aufenthalt in strahlungsarmer Natur, Meditation, Yoga, Qi Gong, MBSR (Mindfulness-based stress reduction), autogenes Training, Trauma- oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
oder EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), regelmäßiger Aufenthalt in einer abgeschirmten Kammer (nach Prof. Pöppel [37]). Unterstützung des Immunsystems durch gute, die antioxidative Kapazität erhöhende Ernährung,
Ausgleich von Vitamin-/Mineralstoff-Mangelzuständen, regelmäßige Bewegung, gute Schlafqualität (was für EHS-ler schwer zu erreichen ist), Stressmanagement, Vermeidung von Toxinen, Ausheilen von Infektionen, Beseitigung von Infektionsherden
(z. B. Extraktion von wurzelbehandelten Zähnen). Unterstützung der Mitochondrien durch Ausgleich von Vitamin-/Mineralstoff-Mangelzuständen und ggf. durch zusätzlichen/hyperbaren Sauerstoff, z. B. über transportable Sauerstoffgeräte.
Bei Bluthochdruck durch einen überaktiven Sympathikus können Kalzium-Kanal-Blocker die Symptome mindern. Entgiftung bis hin zu Ausleitung von Toxinen (Unterstützung der Leberfunktion, Infusionen mit Chelatbildnern, u. a. Entfernen
von Amalgam-Zahnfüllungen).
Quellen
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Prof. Dr.-Ing.
Wilfried Kühling
Vorstandsmitglied der Kompetenzinitiative und Professor für Raum- und Umweltplanung
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